- Papsttum: Höhepunkt und Fall der päpstlichen Macht im Mittelalter
- Papsttum: Höhepunkt und Fall der päpstlichen Macht im MittelalterNach dem Tode Gregors IX. dauerte es zwei Jahre, bis im ersten Konklave der Papstgeschichte der Genuese Sinibaldo Fieschi zum Papst erhoben wurde. Er hatte im Kardinalskolleg bis dahin nicht zu den Feinden des Kaisers gezählt, aber schon die Wahl des Namens Innozenz (IV., 1243—54) deutet seine Absichten an.Am 28. Juni 1245 eröffnete der neue Papst in Lyon ein Konzil, auf dem über Hilfe für das Heilige Land und das Lateinische Kaiserreich, über Maßnahmen gegen die Mongolengefahr und endlich über den Zwist zwischen Papst und Kaiser verhandelt werden sollte. Etwa 150 Bischöfe waren anwesend, vor allem aus Frankreich, England und Spanien; die meisten deutschen und italienischen Bischöfe waren nicht erschienen. Von den weltlichen Fürsten waren Kaiser Balduin von Konstantinopel und die Grafen von Toulouse und von der Provence zugegen; die Könige von Frankreich und England hatten Gesandte geschickt. Der Kaiser, den Innozenz IV. aufgefordert hatte, selbst zu erscheinen, hatte seinen Großhofrichter entsandt.Die Kurie hatte ein Absetzungsurteil gegen Friedrich II. vorbereitet, das folgendermaßen begründet wurde: Der Kaiser habe mehrere Verträge verletzt, die er mit der Kirche geschlossen hatte; dies sei Meineid. Er habe Prälaten gefangen genommen, die zum Konzil fahren wollten; dies sei ein Sakrileg. Er verachte Bann und Interdikt, lasse sich mit Sarazenen ein und habe ein Bündnis mit dem Sultan geschlossen; dies sei Häresie. Und er bedrücke das Königreich Sizilien, das er vom Papst zu Lehen trage, und habe seit neun Jahren keinen Lehnszins mehr entrichtet. Als Strafe folgte der Bann durch Papst und Konzil. Die Untertanen wurden von ihren Eiden entbunden. Wer den Kaiser unterstützte, sollte selbst dem Bann verfallen. Die zuständigen Fürsten wurden zu einer Neuwahl aufgefordert.Die Absetzung eines Kaisers war etwas Unerhörtes. Zwar hatte Gregor VII. Heinrich IV. als deutschen König abgesetzt, und Innozenz III. hatte gegen Otto IV. Friedrich von Sizilien erhoben, aber noch nie war ein Römischer Kaiser abgesetzt worden. Als Rechtsgrundlage für seinen Eingriff in den weltlichen Bereich nannte der Papst seine geistliche Schlüsselgewalt (Matthäus 16,18f.). Schon Christus habe das Recht gehabt, alle Fürsten abzusetzen, und dieses Recht habe er an Petrus und dessen Nachfolger weitergegeben.Die stärkste Anklage gegen Friedrich war der Häresievorwurf. Schon Innozenz III. hatte den Grundsatz aufgestellt, dass ein Fürst, der Ketzer begünstigte oder nicht zu bekämpfen bereit war, selbst exkommuniziert sei. Wenn er sich nicht um Absolution vom Bann bemühte, geriet er in den Verdacht, selbst ein Ketzer zu sein. Nach diesem Muster ging Innozenz IV. gegen Friedrich II. vor. Der kaiserliche Beauftragte erhob gegen das Urteil Protest, weil das Konzil kein allgemeines und der Kaiser nicht ordnungsgemäß vorgeladen worden sei. Friedrich II. selbst griff nicht nur die formalen Mängel des Verfahrens an, sondern bestritt dem Papst grundsätzlich das Recht, den Kaiser zu richten und abzusetzen, weil dieser in weltlichen Dingen keinen Menschen über sich habe. Vor allem den Häresievorwurf wollte der Kaiser keinesfalls auf sich sitzen lassen. Er unterzog sich daher vor einigen Bischöfen und Äbten einer Glaubensprüfung und beschwor seine Rechtgläubigkeit. Der Papst lehnte die Gültigkeit dieser Prüfung ab und beharrte trotz eines Vermittlungsversuchs Ludwigs IX. von Frankreich auf der Absetzung.Gegenkönige in Deutschland und Tod des KaisersIm Mai 1246 wählten die Erzbischöfe von Mainz und von Köln zusammen mit einigen Grafen und Herren auf Geheiß des Papstes bei Würzburg den Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen zum König gegen Konrad IV., den Sohn Friedrichs. Von den mächtigen weltlichen Fürsten war an dieser Wahl keiner beteiligt. Trotz militärischer Erfolge gegen Konrad IV., die dem reichlich fließenden päpstlichen Geld zu verdanken waren, konnte der Gegenkönig nicht einmal seine Krönung erreichen. Er starb bereits am 16. Februar 1247. Im Oktober 1247 wurde dann der junge Graf Wilhelm von Holland zum König erhoben. Nach seiner Approbation durch den Papst konnte er am 1. November 1248 in Aachen gekrönt werden.Nachdem ein neuer Vermittlungsversuch Ludwigs IX. gescheitert war, plante Friedrich, mit einem Heer nach Lyon zu ziehen. Als aber die strategisch wichtige Stadt Parma an seine Gegner fiel, versuchte er zuerst, Parma zurückzuerobern. Das Unternehmen misslang jedoch völlig, und der Staatsschatz und die Kaiserkrone fielen sogar in die Hand der Gegner. Anfang 1250 trat zwar wieder ein Umschwung zugunsten des Kaisers ein, doch da starb Friedrich am 13. Dezember 1250 in Castel Fiorentino bei Lucera in Apulien.Kampf mit Friedrichs ErbenDie Auseinandersetzung des Papsttums mit den Staufern war damit allerdings noch nicht beendet. Der Papst kehrte 1251 nach Italien zurück und hoffte, seine Oberherrschaft über Sizilien wieder zur Geltung bringen zu können. Dort konnte sich aber der natürliche Sohn des Kaisers, Manfred, als Statthalter für Konrad IV. durchsetzen, der Anfang 1252 selbst nach Italien kam, aber im Mai 1254 überraschend im Alter von erst 26 Jahren starb. Manfred verband sich mit den staufertreuen Sarazenen in Lucera und konnte das päpstliche Heer besiegen. Als der kranke Innozenz von dieser Niederlage erfuhr, starb er am 7. Dezember 1254 in Neapel.Nachfolger wurde ein Neffe Gregors IX., Alexander IV. (1254—61). Er war ein kompromissloser Gegner der Staufer und ging mit kirchlichen Strafmitteln gegen Manfred und seine Anhänger in Italien vor. Sein Nachfolger Urban IV. (1261—64) belehnte 1263 Karl von Anjou, den jüngeren Bruder Ludwigs IX., mit Sizilien. Dieser besiegte 1266 Manfred in der Schlacht bei Benevent und konnte sich anschließend Siziliens bemächtigen. Als 1268 der Sohn Konrads IV., Konradin, nach Italien kam, wo er zahlreiche Anhänger fand, schlug ihn Karl bei Tagliacozzo und nahm ihn wenig später gefangen. Konradins Hinrichtung auf dem Marktplatz von Neapel (29. Oktober 1268) bedeutete das Ende der staufischen Herrschaft in Italien.Sizilianische Vesper 1282Im Jahr 1271 wurde Gregor X. zum Papst gewählt. Auf einem Konzil, das er für das Jahr 1274 nach Lyon einberief, sollte ein großes Kreuzzugsunternehmen vorbereitet werden. Vor zahlreichen Bischöfen aus allen europäischen Ländern anerkannte der oströmische Kaiser zusammen mit vielen Bischöfen aus der Ostkirche auf diesem Konzil den Primat des Papstes; damit waren die seit 1054 getrennten Kirchen des Westens und des Ostens wenigstens nominell wieder vereint. Diese Union wurde allerdings schon 1283 durch eine Synode von Konstantinopel wieder aufgekündigt. Auch den erstrebten Kreuzzug brachte das Konzil nicht zustande.Wenige Jahre nach dem Tod Gregors X. erlitt die Herrschaft Karls von Anjou über das sizilische Reich einen schweren Rückschlag. 1282 brach in Palermo ein Volksaufstand aus, in den König Peter von Aragon, der Schwiegersohn Manfreds, eingriff. Als Folge dieser »Sizilianischen Vesper« ging die Insel Sizilien den Anjou verloren. Für das Papsttum war dies jedoch nicht unbedingt ein Nachteil, da sich jetzt zwei Mächte, Anjou und Aragon, die Herrschaft im südlichen Italien teilten. Es waren eher die kurzen Pontifikate der folgenden Zeit, die sich negativ auf die politische Macht des Papsttums auswirkten. So konnte nicht verhindert werden, dass es nach dem Tod Karls von Anjou (1285) zu einem Ausgleich zwischen Aragon und Anjou kam.Sehnsucht nach einem EngelpapstIn dieser Situation wuchs die Sehnsucht nach einem Papst, der weniger als politischer Machthaber, sondern als geistliche Potenz sein Amt ausüben werde. Die Vorstellung von einem »Engelpapst« geht auf den kalabresischen Mönch Joachim von Fiore (✝ 1202) zurück, der für die Zeit nach 1260 das Zeitalter des Geistes, in dem die Mönche die Kirche beherrschen würden, vorhergesagt hatte.Als sich die Kardinäle zwischen 1292 und 1294 wieder einmal sehr lange nicht auf einen Papst einigen konnten, wählten sie zuletzt den 85-jährigen Einsiedler Pietro del Murrone, der seit über 50 Jahren in den Abruzzen lebte. Er besaß durchaus Organisationstalent, denn er hatte einen Eremitenorden ins Leben gerufen, der sich weit ausgebreitet hatte. Am Beginn seines Pontifikats standen bedeutsame symbolische Handlungen: Er nannte sich Cölestin (»der Himmlische«), zog auf einem Esel reitend in die Stadt L'Aquila ein und ernannte als Erstes zwölf (!) Kardinäle, unter denen fünf Mönche waren, die das neue Zeitalter des Geistes repräsentieren sollten. Auch als Papst lebte Cölestin V. wie ein einfacher Bauer; Latein konnte er wenig, daher war er bei seinen Regierungshandlungen in extremer Weise von den Einflüsterungen anderer abhängig.Die erhoffte innere Erneuerung der Kirche konnte dieser Papst nicht voranbringen. Im Dezember 1294 kündigte er seinen Rücktritt an, der durch ein Gutachten des Kardinals Benedetto Caetani abgesichert wurde. Dieser formulierte auch die Verzichterklärung, die Cölestin verlas. Darauf stieg Papst Cölestin V. vom Thron, legte Ring, Tiara und Mantel, die Insignien seiner Würde, ab, schlüpfte wieder in die graue Kutte der Eremiten und setzte sich auf die unterste Stufe des Throns.Papst Bonifatius VIII.: Höhepunkt und FallKurz danach wurde Benedetto Caetani zum neuen Papst gewählt. Er nahm den Namen Bonifatius VIII. (1294—1303) an und versuchte noch einmal, die Ansprüche des Papsttums auf direkte Herrschaft im weltlichen Bereich durchzusetzen. Aber nicht einmal gegenüber dem Reich ist dies gelungen. Nach zähen Verhandlungen anerkannte der Papst im Frühjahr 1303 den Habsburger Albrecht I. (1298—1308) als Römischen König und künftigen Kaiser; Bonifatius erklärte dabei, dass die Franzosen rechtmäßig dem Kaiser unterständen. Auch in Sizilien musste Bonifatius 1303 den Status quo anerkennen.Zum Hauptgegner des nach Oberherrschaft strebenden Papsttums wurde nun aber Frankreich. Mit König Philipp IV., dem Schönen (1285—1314), brachen langjährige Kämpfe aus, die vom Papst mit in herrischem Ton formulierten Bullen, vom französischen König durch Mobilisierung der Öffentlichkeit geführt wurden. 1296 erneuerte der Papst die alte Forderung, dass das Kirchengut steuerfrei sein müsse. Philipp der Schöne verbot daraufhin die Ausfuhr von Edelmetall aus seinem Reich und untersagte den Aufenthalt von Fremden. Damit waren die päpstlichen Legaten und Kollektoren getroffen, die die Abgaben der französischen Kirche einsammeln und nach Rom schicken sollten. Als sich die französischen Bischöfe auf die Seite des Königs stellten, musste Bonifatius seine Bulle zurückziehen.Als 1301 der französische König einen Bischof wegen Hochverrats zu Kerkerhaft verurteilte, betonte Bonifatius, dass auch der König von Frankreich dem Papst unterworfen sei, da Gott den Nachfolger Petri über Völker und Könige gesetzt habe. Aus der päpstlichen Bulle fabrizierte der königliche Jurist Pierre Flote eine zugespitzte Kurzfassung, die in Frankreich verbreitet wurde. Dass damit ein Propagandakrieg geradezu modernen Ausmaßes begonnen hatte, zeigte sich auch darin, dass in Paris zum ersten Mal eine Versammlung der Stände einberufen wurde, die sich — mit Ausnahme der Bischöfe — hinter den König stellte.Nicht gerade als direkte Reaktion auf diese Demonstration des französischen Widerstands gegen die Ansprüche des Papstes, aber als Grundsatzerklärung Bonifatius' VIII. ist dann die Bulle Unam sanctam vom 18. November 1302 aufzufassen. Hier wird die Behauptung von der direkten Gewalt des Papstes in weltlichen Dingen in Zusammenfassung älterer Theorien noch einmal zugespitzt: Die geistliche Gewalt darf nur von Gott gerichtet werden; Widerstand gegen sie ist Widerstand gegen Gott; es ist für jeden Menschen heilsnotwendig, dem römischen Bischof untertan zu sein.Bald nach dieser Verlautbarung kam es im Verhältnis zu Frankreich zur Katastrophe: Zum einflussreichsten Berater des Königs war Guillaume de Nogaret aufgestiegen, der aus einer Familie stammte, deren Mitglieder wegen Häresieverdachts von der Inquisition verfolgt worden waren. Nogaret formulierte eine Anklage gegen den Papst, der durch ein vom König einberufenes Konzil als erwiesener Simonist abgeurteilt werden müsse. Um den Papst festzunehmen, reiste Nogaret nach Anagni; bei der Festnahme am 7. September kam es sogar zu Tätlichkeiten. Bonifatius wurde zwar durch die Bürger von Anagni aus seiner schmachvollen Gefangenschaft befreit, aber kurz nach seiner Rückkehr nach Rom starb er (12. Oktober 1303).Auch nach dem Tod des Papstes blieb die Absicht bestehen, ihm den Prozess zu machen. Philipp der Schöne verlangte von Klemens V. (1305—14) schon bei dessen Krönung in Lyon, ein Konzil einzuberufen, das nachträglich über Bonifatius richten sollte. Der von Philipp abhängige Papst verlegte 1309 den Sitz der Kurie nach Avignon. Als im Oktober 1311 das Konzil in Vienne eröffnet wurde, war nicht mehr der Prozess gegen den toten Papst, sondern der Prozess gegen die Templer der wichtigste Verhandlungspunkt. Aber auch in dessen Verlauf zeigte sich, wie stark der Papst vom französischen König abhängig war: Unter der beständigen Drohung eines Prozesses gegen Bonifatius VIII. war Klemens V. genötigt, den Templerorden aufzuheben, obwohl die Beweislage äußerst problematisch war. Philipp der Schöne hatte jetzt freie Hand, um das riesige Vermögen dieses Ordens einzuziehen. Die »babylonische Gefangenschaft« des Papsttums in Avignon hatte begonnen.Prof. Dr. Wilfried HartmannWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Avignonesisches Exil (1309 bis 1376): Die Päpste in AvignonGrundlegende Informationen finden Sie unter:staufisches Kaisertum gegen universales Papsttum: Herren der ganzen Christenheit?Schimmelpfennig, Bernhard: Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance. Darmstadt 41996.
Universal-Lexikon. 2012.